Die alte Dorfschänke

Die Dorfschänke in Bönen im einer historischen Ansicht noch mit dem separaten Saalbau (links) Foto (c) Gemeindearchiv

Erstveröffentlichung des Artikels: Kreisheimatbuch Band 4, 1983

„Ich hatt’ mir vorgenommen, grad
durch die Welt zu kommen —
es wollte mir nicht glücken, ich
mußt’ mich öfter bücken.”

Das Sprüchlein, sorgfältig gerahmt, schmückt mit Siegerurkunden und Emblemen, Gruppen- und Prominentenfotos die Wände in der Gaststube der alten Dorfschenke in Bönen. Dem Wirt gefällt der Vers, „weil wahr ist’’, sagt er, „was da geschrieben steht”.

Heinrich Lohmann, geboren an der Jahrhundertwende, als die Deutschen über den ersten Zeppelin am Himmel staunten, auf der Weltausstellung in Paris eine vorher nie gesehene Rolltreppe benutzt werden konnte und das Bürgerliche Gesetzbuch hierzulande in Kraft trat, steht noch immer hinter dem Schanktisch des Gasthauses am Kirchplatz, das der Vater als in Altenbögge schon geübter Gastwirt ihm hinterließ. Damals freilich in schlichterer Aufmachung. So adrett und gemütlich wie die Dorfschenke nun nicht allein ihren Stammgästen gefällt, wäre sie — erinnert sich ein Hochbetagter aus der Nachbarschaft beim Dämmerschoppen — erst nach dem Kriege geraten.

Der im Knick der Lenningser Straße dem Torbogen des Schulze-Haaren’schen Gehöfts benachbarte Krug ist seit Generationen Vereinslokal der Sänger und Schützen, Turner, Knappen und Taubenzüchter gewesen und geblieben. Unter den Senioren aber, die sich zum Frühschoppen dort einzufinden pflegen, ist früher jeder Zweite ein Hauer oder Steiger auf Königsborn IIl/IV gewesen.

Die Runde der Getreuen unter den Gästen des Ehepaares Heinrich und Helene Lohmann wäre größer und vollständiger, wenn sie alle noch lebten, die nebenan im Gesellschaftszimmer in einem riesigen Sammelrahmen über dem Sofa hängen. Es sind die Portraitfotos von mehr als 200 (!) zu früh verstorbenen und im 1. Weltkrieg gefallenen Mitgliedern des Landwehr- wie des Männer-Gesangvereins. Das schon seines Formats wegen eindrucksvolle „Mosaik’’, das die Wand bis fast zur Decke hinauf in Anspruch nimmt, ist anläßlich eines Jubiläums von Heinrich Lohmann als dessen schönstes Geschenk empfunden worden, — aber auch als Dank gedacht gewesen, der der umsichtigen und allezeit freundlichen Wirtin, einer Schwester des 1959 verstorbenen Landrats Heinrich Renninghoff, galt.

Bis zur Wende im Jahre 1945, so erfährt man, hätten in diesem Raum unter anderen auch großrahmige Bilder des Otto von Bismarck und des „Großen Schweigers” Helmut von Moltke gehangen. Als die Amis kamen, sei man erstaunt gewesen, weil sie gegen keines der beiden Portraits protestiert hätten: Die Bilder, obgleich ihre Tage schon gezählt waren, durften bleiben, wo sie einstweilen noch hingen.

Es hört sich gut zu, wenn der Wirt auf vergangene Zeiten zu sprechen kommt: Als die Weetfelder Bauern, um den Gottesdienst in der nahen Kirche zu besuchen, noch mit dem Landauer vorfuhren. Die meisten hätten dabei auch einen Abstecher gemacht, um nebenan bei Fräulein Menne einzukaufen, was daheim auf den Höfen fehlte. An die Kolonialwarenhandlung im Winkel auf dem Kirchplatz erinnern heute nur noch die dicken Blockbuchstaben über der Haustür. Manchen Bauer, der einst bei Vater Lohmann eingekehrt war, sieht der nun 82jährige „noch wie damals vor dem Tresen stehen”: Beim Pintchen Korn, das mit spitzen Fingern und einem Fünf-Pfennig-Stück bezahlt wurde. Während die vor dem Kirchgang angerauchte Zigarre im Aschenbecher warten mußte, bis ihr Eigentümer nach Amen und Kollektenspende eine Stunde später zurückkehrte.

Wer vor einem halben Jahrhundert denn das Bier im Zapfhahn geliefert hätte, wollte man wissen: Es sei zumeist aus Unna gekommen und habe Linden-Adler geheißen. Seltener hätte, und es wäre immer ein Ereignis gewesen, draußen der Kutscher aus Hamm mit der Peitsche geknallt. Dann habe man in der Wirtschaft gewußt, daß er, der Bierkutscher, seit Tagen unterwegs durch die Dörfer, ausspannen und mit seinen müden Pferden über Nacht in Bönen bleiben wollte.

Anmerkung: Heinrich Lohmann starb im Jahr 1994 im Alter von 94 Jahren. Seine Frau Lenchen folgte ihm 2001. Über viele Jahre waren die beiden das älteste Gastronomen-Ehepaar in Deutschland. Bist zuletzt bedienten sie ihre Gäste in der alten Dorfschänke. Heute führt das Ehepaar Beate und Joachim Lüblinghoff das Lokal.