Ein dunkles Kapitel: Zwangsarbeit

Zwangsarbeiter, die in Nordbögge interniert waren, wurden bei der Beseitigung von Bombenschäden im Verschiebebahnhof Hamm eingesetzt. Bildquelle: Stadtarchiv Hamm.

2.500 Menschen mussten in der heutigen Gemeinde Bönen Zwangsarbeit leisten

Über die Zwangsarbeiter
Auszüge aus einer Veröffentlichung im Klartext Verlag Essen unter dem Titel „Gebrochene Menschen und Biografien. Das Schicksal der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) in den damaligen Ortschaften der heutigen Gemeinde Bönen vor dem Hintergrund der politisch-ideologischen und kriegswirtschaftlichen Entwicklung im Deutschen Reich“.

Vorweg die nüchternen Zahlen: Im Zeitraum von 1939 bis 1945 waren in den Ortschaften Altenbögge, Bönen, Bramey-Lenningsen, Flierich, Nordbögge, Osterbönen und Westerbönen mehr als 2.500 Zwangsarbeiter untergebracht und eingesetzt. Diese Zahl ist aktenkundig und machte ungefähr 25 Prozent der damaligen Einwohnerschaft in den acht Ortschaften aus; allein in Altenbögge waren es über 40 Prozent, was natürlich mit dem Arbeitsplatz Zeche zu tun hatte. Es muss sogar davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl der in der heutigen Gemeinde Bönen eingesetzten Kriegsgefangenen und Zivilarbeitskräfte noch höher war.

Übersichtskarte: Zwangsarbeit in den Ortschaften der heutigen Gemeinde Bönen. Grafik (c) GA – Antje Lemmer

Diese aus den „eroberten“ bzw. besetzten Territorien rekrutierten und ins Deutsche Reich, damit auch in die damaligen Ortschaften der heutigen Gemeinde Bönen verbrachten Arbeitskräfte waren Kriegsgefangene und so genannte Zivilarbeiter (Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder; also auch Familien). Sie kamen aus 15 „Nationen“, unter ihnen überwiegend Polen und „Russen“ bzw. Ukrainer, so genannte „Ostarbeiter“. Das Gesamtdurchschnittsalter betrug etwas über 28 Jahre. Der Anteil der Frauen machte knapp zehn Prozent aus.

Der NS-ideologische Begriff der „Fremdvölker“ bringt die erheblichen Vorbehalte der Rassenideologie der Nationalsozialisten zum Ausdruck: Der deutsche „Herrenmensch“ schaute mit Verachtung auf die „Fremdvölkischen“, insbesondere den slawischen „Untermenschen“, aber in gewisser Abstufung auch auf die anderen „Fremdländischen“; am „wertvollsten“ unter diesen waren noch die mit germanischem Ursprung, zum Beispiel die Niederländer, Engländer oder Skandinavier. So kann es nicht verwundern, dass die Rassenideologen der NSDAP erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Arbeitseinsatz ausländischer Arbeitskräfte im Deutschen Reich hatten, insbesondere gegenüber dem der „Russen“, die auf der „Werteskala“ der „Fremdvölker“ ganz unten standen. Aber der Kriegsverlauf und der rapide wachsende Arbeitskräftebedarf in der Kriegswirtschaft – jeder wehrtüchtige deutsche Mann wurde an der Kriegsfront dringend gebraucht und musste somit als Arbeitskraft ersetzt werden, wenn man nicht auf die deutschen Frauen zurückgreifen wollte – erzwangen den Übergang zur Zwangsarbeit im großen Stil: Insgesamt waren in der Zeit zwischen 1939 und 1945 auf deutschem Reichsgebiet um die 13,5 Millionen Kriegsgefangene und ausländische zivile Arbeitskräfte eingesetzt. Nur das Allernötigste wurde ihnen gelassen.

Diese nichtdeutsche Zwangsarbeit konnte den rassenideologischen Hardlinern in der NSDAP nur dadurch abgerungen werden, dass man ihnen zugestand, diese Menschen – insbesondere die „Russen“ und Polen – aufs inhumanste zu behandeln: Nur das Allernötigste zum Überleben und häufig nicht einmal das wurde ihnen gelassen. Ihre Arbeitskraft wurde gegen einen Hungerlohn rücksichtslos ausgebeutet. Lange Zeit galt der Grundsatz „Arbeit als Strafe“, wenn es sein musste, bis zum Tod. Sie mussten äußerste Diskriminierung, absolute Isolierung durch Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben und härteste Repressionen und Strafaktionen bei kleinsten Vergehen bis hin zum Tod ertragen. Hunger wegen unzureichender Ernährung, Krankheit wegen unzureichender medizinischer und sanitärer Versorgung und Tod – natürlich und gewaltsam – bestimmten das Leben der meisten; Unmenschlichkeit, Unrecht, Willkür und Gewalt hatten sie zu erdulden.

Der ukrainische Zwangsarbeiter Wolodymyr Krawez mit der Nummer des Straflagers Dortmund. Foto: GB

Eine Vorreiterrolle spielte dabei die Gestapo, auch die Ortspolizei; aber schuldig wurden auch viele Betriebsleitungen und Arbeitgeber, Funktionsträger aller Art und einzelne Deutsche, die den Zwangsarbeitern im Alltag begegneten. Die so genannten „Polen- und Ostarbeitererlasse“ vermitteln ein anschauliches und exemplarisches Bild von dem ghettomäßigen „Lagerkosmos“ der Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern innerhalb der deutschen Gesellschaft. Diese Isolierung galt am Arbeitsplatz wie in der Unterbringung in Lagern oder lagerähnlichen Unterkünften. Nur jenen, die in der Landwirtschaft arbeiten konnten und dort untergebracht waren, und denen, die im Handwerk, Einzelhandelsgewerbe und in Privathaushalten Zwangsarbeit leisten mussten, wurde gelegentlich die Chance zu einem besseren Leben geboten.

Ein besonders erschütterndes Schicksal wartete auf die schwangeren „Ostarbeiterinnen“, die in so genannten Entbindungsheimen – für die damaligen Ortschaften der heutigen Gemeinde Bönen war eine solche Einrichtung in Waltrop-Holthausen zuständig – ihre Kinder zur Welt bringen mussten, wenn sie nicht bereit waren, sie abzutreiben. Die „rassisch wertlosen“ Säuglinge wurden ihnen abgenommen und „entsorgt“, die „wertvolleren“ landeten in der Regel in so genannten Kinderpflegestätten“, während die Mütter umgehend wieder zur Arbeit verpflichtet wurden. Die Rassenbestimmungen verboten jede Beziehung zwischen „Volksgenossen“ und „Fremdvölkischen“, besonders wenn es sich um slawische Rassen handelte. Die „fremdvölkischen“ Männer wurden wegen dieses „Geschlechtsvergehens“ umgehend öffentlich gehängt, während auf die „fremdvölkische“ Frau der öffentliche Pranger mit abgeschnittenen Haaren, das Ausländerbordell – diese wurden eigens für die ausländischen Zwangsarbeiter eingerichtet – oder gar das KZ warteten.

Der Leidensweg begann in der Heimat

Der Leidensweg der zivilen Zwangsarbeiter begann bereits in der Heimat; denn, abgesehen von freiwilligen Meldungen zum Arbeitseinsatz im Reich in der Anfangsphase, nämlich im Rahmen großer Werbeaktionen wegen der Arbeitslosigkeit in der Heimat und mit falschen Versprechungen gelockt, waren Zwangsrekrutierungen an der Tagesordnung: In den Städten und Dörfern wurden ganze Bezirke, Straßenzüge, Plätze, Kirchen, Schulen und öffentliche Gebäude abgesperrt, die Menschen wurden von der Straße weg auf Güterzüge verladen und zu Tausenden, eingepfercht in Waggons unter unvorstellbaren Zuständen, ins Reich verschleppt. Auch gab es reine Frauen- und Kindertransporte. In Auffanglagern wurden alle entseucht und registriert, ehe sie, wenn nach den Qualen des Transportes überhaupt arbeitsfähig, auf Arbeitsorte und –stellen verteilt wurden. Die Kriegsgefangenen wurden über die im Reich eingerichteten so genannten Stammlager zum vorgesehenen Arbeitseinsatz verbracht; das berüchtigte Stammlager in Hemer war Ausgangspunkt für die Zwangsarbeit auf der Zeche in Altenbögge.

Die geschilderten Zustände im Reich betrafen auch die Verhältnisse in den damaligen Ortschaften der heutigen Gemeinde Bönen, die also durchaus exemplarischen Charakter für das Schicksal der Zwangsarbeiter haben. Hauptarbeitgeber war die Zeche „Königsborn III/IV“ in Altenbögge. Über 1.780 „fremdvölkische“ oder „fremdländische“ Arbeitskräfte aus 15 Nationen oder Staaten waren hier während des Zweiten Weltkriegs eingesetzt. Frauen und Kinder bzw. Jugendliche wurden nur über Tage beschäftigt, zum Beispiel in der Kohlenwäsche. Über 750 Zwangsarbeiter waren außerhalb der Zeche im Arbeitseinsatz: überwiegend auf den umliegenden Höfen, aber auch im örtlichen Handwerk, Handel und Gewerbe, bei der Deutschen Reichsbahn und in Privathaushalten. Über 580 Männer und über 170 Frauen aus 14 Nationen oder Staaten. Die aufgeführten Zahlen sind aktenkundig.

Unterbringung in Lagern

Abgesehen von der Einzelunterbringung auf den Höfen, waren die Zwangsarbeiter in neun Lagern oder lagerähnlichen Unterkünften untergebracht. Das mit Abstand größte Lager war das am Ledigenheim in der Zechenstraße in Altenbögge, das von der Klöckner Werke AG betrieben wurde. Ebenso von der Zeche eingerichtet und verwaltet waren in Bönen das Lager Dreihausen an der Ziegelei am Kletterpoth und das Lager Stabys Hof in Bönen in der Nähe der alten Kirche; die Einrichtungen an der Zechenstraße und am Kletterpoth waren Barackenlager. Außerdem fungierten einige Gaststättensäle als lagerähnliche Unterkünfte: die Gaststätte Stoltefuß in der Bahnhofstraße in Bönen, die Gastwirtschaft Gerling ebenfalls dort, die Gastwirtschaft Jackenkroll in Flierich, die Gaststätte Vollmer am Bahnhof in Nordbögge und die Gaststätte Vockelmann (heute Dörnemann, Bönener Straße) in Nordbögge. Schließlich ist zu nennen das „Gemeinschaftslager“ auf dem Hof Isenbeck in Osterbönen am heutigen Herrenweg. Alle diese Unterbringungseinrichtungen wurden von der Kreisbauernschaft oder der Deutschen Reichsbahn betrieben.

Der Hunger als ständiger Begleiter

Für die Zustände in den Lagern und sonstigen „Massenunterkünften“ wie am Arbeitsplatz gilt das zur Situation im ganzen Reich oben Ausgeführte. Besonders zu leiden hatten die auf der Zeche beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte: Die Unterbringung in den drei Lagern war himmelschreiend und am Arbeitsplatz Zeche war ein „Grubenmilitarismus“ mit gewalttätiger Repression an der Tagesordnung. In der Lagerküche am Ledigenheim herrschte bei der Verteilung der ohnehin raren und unzureichenden Essensportionen Korruption zu Lasten der bedauernswerten Menschen. So war der Hunger „ein ständiger Begleiter“, wie eine Zeitzeugin feststellt.

Die ausländischen Bergleute litten zudem unter den härtesten betriebsinternen Schikanen, Sanktionen und Strafen bei „Arbeitsunlust“ und „Aufsässigkeit“, wie es hieß, oder aber sie landeten im so genannten Arbeitserziehungslager oder gar im KZ. Bei Arbeitsunfähigkeit durch Erkrankung wegen der katastrophalen hygienischen Zustände und medizinischen Unterversorgung oder wegen schwerster Verletzungen durch Misshandlung oder Prügel drohte die Abschiebung in das „Todeslager“ nach Hemer.

Eine Todesbescheinigung vom 19. November 1943

Die Todesbescheinigungen in den Friedhofsakten – auf den Friedhöfen in Altenbögge, Bönen und Flierich sind viele Zwangsarbeiter in abseits gelegenen Gräbern bestattet – belegen schwerste Erkrankungen wie Lungentuberkulose und „Herzschwäche“ oder auch „nur“ „allgemeine Körperschwäche“ mit Todesfolge. Besonders schrecklich sind die zahlreichen Hinweise auf Selbsttötungen, die junge Menschen, Männer und Frauen, offensichtlich als letzten Ausweg aus ihrem Elend gesehen haben.

Am 9. April 1945 erfolgte der Einmarsch der Alliierten – Engländer und Amerikaner waren vom Südosten her vorgerückt – in die damaligen Ortschaften der heutigen Gemeinde Bönen und die Besetzung der Schachtanlage. Damit war für die ausländischen Zwangsarbeiter die Stunde der Befreiung gekommen. Deshalb wuchs in der deutschen Bevölkerung die Sorge darüber, dass die bisher so unmenschlich Unterdrückten sich für das ihnen zugefügte Unrecht rächen würden. Die lokalgeschichtlichen Quellen belegen, dass diese Angst durchaus berechtigt war, andererseits die „fremdvölkischen“ bzw. „fremdländischen“ Menschen sehr wohl zu unterscheiden wussten, wer sie gequält und misshandelt und wer ihnen gegenüber Mitmenschlichkeit gezeigt hatte.

Zeitzeugen berichten darüber, wie die ehemaligen „Gebieter“, die so genannten „Russenschrecken“, die so genannte „Russenkrankheit“ bekommen haben. „Russenschreck“ nannte man diejenigen, die den Russen während ihrer Zwangsarbeiterzeit durch unmenschliches Verhalten „Schrecken“ eingejagt hatten. Wenn diese nun plötzlich von der „Russenkrankheit“ erfasst waren, dann hatten sie sich aus Angst vor Vergeltung schleunigst versteckt und waren wie vom Erdboden verschwunden. Das half aber vielen nicht: Sie wurden aufgespürt. Und mit der gleichen Unmenschlichkeit, die die ehemaligen Zwangsmitarbeiter selbst hatten erfahren müssen, nahmen diese erbarmungslos Rache, von Plünderungen und Zerstörungen bis hin zur Tötung. Auf den „Rachefeldzügen“ wurde auch Unrecht begangen. Aber es gab auch beeindruckende Handlungen der Dankbarkeit für erfahrene Mitmenschlichkeit. Zeitzeugenberichte schildern all dies sehr eindrucksvoll. Diese müssen als wertvolle Quelle gewürdigt werden – die zeitgenössischen und jene, die von Betroffenen und Miterlebenden verfasst worden sind, schriftlich und mündlich.

Auch die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs gehört zur Unmenschlichkeit des NS-Regimes. Auch in diesem Kapitel der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 wird deutlich, wozu Menschen gegenüber Menschen fähig sind. Ob im Auftrag oder Dienst, ob in ganz persönlicher Entscheidung: Schuldig geworden sind jene, die tatkräftig an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kleinen wie im Großen mitgewirkt haben, aber schuldig geworden sind auch diejenigen, die weggesehen und Gleichgültigkeit gezeigt haben. Vor diesem Hintergrund müssen besonders jene Menschen gewürdigt werden, die sich in dieser unmenschlichen Zeit – auch unter Einsatz ihres Lebens – gegenüber den erbarmungswürdigen Zwangsarbeitern menschlich verhalten haben, sei es nur durch ein freundliches und mitfühlendes Wort oder durch heimlich zugesteckte Nahrung oder Kleidung: Neben den Unmenschen gab es auch Menschen.

Die wachgehaltene Erinnerung an diese Zeit der Unmenschlichkeit möge eine Wiederkehr verhindern. Eine Gewähr dafür gibt es allerdings nicht, wohl aber die aus der Erinnerung gewonnene dauerhafte Verpflichtung, alles dafür zu tun.

Zwangsarbeiter waren in Lagern wie im ehemaligen Ledigenheim untergebracht. Foto (c) GB