Rodeln auf dem Topfdeckel

Hansi, der Barackenjaust, genießt die Freuden der Winterzeit

Natürlichhofften wir Kinder auch damals auf eine weiße Weihnacht. Die gab es in den wenigsten Fällen, so wie heute auch. Mit Schnee konnten wir aber in jedem Winter rechnen. Und in der schneefreien Zeit wurde uns trotzdem nicht langweilig.

In unserem Flur stand ein Tisch, der mir als Schattentheater diente. Als Leinwand nutzte ich ein Bettlaken, das ich über den Tisch stülpte. Ich kroch unter den Tisch und projizierte mit Hilfe einer Kerze Figuren auf das Laken. Auf der anderen Seite saß als Zuschauer meist meine kleine Schwester Margit, die das ganz toll fand.

Bei ausreichend Schnee lässt sich auch heute noch am Mergelbergwald rodeln. Foto: Topel

Der Winter war auch die Zeit des Schmökerns. Damals gab es verschiedene Serienhefte, die teilweise heute noch verlegt werden, wie etwa „Mickey Mouse“. Aber es gab auch Figuren wie „Fulgor“, einen Weltraumhelden, den ich damals sehr verehrt habe, „Tarzan“ war ein Dschungelheld, von dem es schon Filme gab. Ich habe fast alle gesehen. „Akim“ war auch ein Urwaldmensch, aber nicht so berühmt wieTarzan. Daneben gab es noch „Sigurd“, einen unerschrockenen Ritter, und „Zorro“, den Mann mit der Maske undRächer der kleinen Leute. Aus Geldmangel tauschten wir die Hefte untereinander.Möglicherweise war diese „Tauschbörse“ der Vorläufer für die Grünen Mappen in den Friseursalons.

Wenn der Winter dann mit Schnee, Frost und Eis bei uns einzog, hatten wir mehrere Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Erstmal bauten wir uns Schlitten, denn einen „echten“ Schlitten hatten wir zunächst nicht. Aus Brettern versuchten wir ein entsprechendes Gefährt zusammen zu basteln. Den Versuch mussten wir meistens schnell aufgeben, da es uns entweder an Material und an Werkzeug, vor allem aber an handwerklichem Geschick mangelte. Aber wir waren ja erfinderisch. Oberhalb des Anwesens der Familie Mai befand sich ein Hang, den wir je nach Schneemenge als Rodel oder Eisbahn benutzten. Bei Neuschnee musste diese Piste erst einmal präpariert, derhohe Schnee platt gemacht werden. Das passierte, indem wir auf unter dem Hintern geklemmter Pappe hinunter rodelten oder uns auf einen großen Topfdeckel ohne Griff den Hang heruntertrudeln ließen.

Nach einer gewissen Zeit zeigte dieser Hang starke Abnutzungserscheinungen,wenn kein neuer Schnee fiel. Der blanke Lehm wurde sichtbar. Das war der Zeitpunkt, an dem die Rodelbahn zur Eisbahn wurde. Dazu wurde sie abends mit Wasser übergossen. Der Frost machte daraus quasi einen Eiskanal. Ganz Mutige, meist schon ältere Jugendliche, rasten mit Schlittschuhen hinunter. Manch einer hat sich dabei tüchtig auf die Nase gelegt. Die meisten Kinder mussten sich aber weiterhin auf Sohlen, Pappe oder Topfdeckeln vergnügen.

Mit den Jahren hatten immer mehr Kinder Schlittschuhe und Schlitten, dadurch verlor der kleine Hang seine Attraktivität, und wir wichen auf größere Hänge aus. Was aber weiterhin sehr beliebt war, war das Schlindern und Eislaufen auf den Bombentrichtern im Ziegeleibusch. Da wir es nicht abwarten konnten, bis das Eis stark genug war, um uns zu tragen, kam es oft zu Einbrüchen, die trotz des elterlichen Unmutes und anschließendem „Zwangsauftauen“ durch heißes Salzwasser, nicht dazu führten, diesen Teich zu meiden. Für mich war die Behandlung mit heißem Salzwasser eine der schmerzhaftesten Methoden, die ich kannte und machte die erzieherische Maßnahme durch „Warmklopfen“ an und für sich überflüssig.

Als wir älter wurden, suchten wir unsere Rodelabenteuer entweder am Mergelberg an der Seseke oder auf dem Hexenberg, in der Nähe der Hellwegschule. Den allerdings suchten wir nicht so häufig auf, weil er zwar lang gestreckt, aber nicht steil genug war und außerdem im Einzugsbereich der Dorfjungen lag. Dort kam es unter Umständen also zu einem Verdrängungswettbewerb. Unser Lieblingshang war deshalb der Mergelberg. Im Sommer diente er als Kuhweide. Der Bauer war nicht begeistert darüber, dass wir den Draht seines Zaunes runter trampelten, um auf den Hang zu kommen, aber er schien ein Herz für uns Kinder Zu haben und duldete es stillschweigend.

Der Hang ermöglichte vom Start bis zum Auslauf eine Rodeldauer von etwa zehn bis 20 Sekunden. Wegen des steilen Anstieges und der Schneeglätte dauerte der Aufstieg aber wesentlich länger. Kalt wurde uns also nicht. Wir probierten alle Rodelarten aus: sitzend, auf dem Bauch liegend, mit und ohne Partner als Reiter, rücklings und mit zusammengebundenen Schlitten. Dass es dabei schon mal zu Kollisionen kam, lag auf der Hand. Auch die Fahrt in den angrenzenden Stacheldrahtzaun ließsich manchmal nicht vermeiden, und wir waren froh, wenn es dabei nur ein paar Kratzer gab.

Fantasievoll verkleidet marschierten die Kinder von Haus zu Haus , um Süßigkeiten zu ergattern. Foto: Topel

Ab Mitte Februar aber sehnten wir uns wieder nach der wärmeren Jahreszeit. Wir hatten die kalten Tage mit Eisblumen an den Fensterscheiben der spärlich geheizten Zimmer satt. Da kam uns die Karnevalszeit gerade recht. Unsere Eltern besuchten die Feiern in der Gastwirtschaft Vockelmann oder im Saale Lohmann. Sie genossen die abwechslungsreichen Stunden und vergaßen für einige Zeit ihre alltäglichen Sorgen. Aber auch wir Kinder verkleideten uns und zogen fröhlich von Tür zu Tür, um ein paar Süßigkeiten zu ergattern. Und fast immer wurden wir für unsere fantasievollen Kostüme belohnt.