Unbeschwerte Sommertage

Hansi, der Barackenjaust, genießt die schönste Jahreszeit mit seinen Spielkameraden

Die schönste Jahreszeit für uns Kinder war der Sommer. Wann immer es die Temperaturen zuließen, verbrachten wir unsere Freizeit ohne Schuhe. Das schonte diese zwar, aber wir hatten ständig kleinere Verletzungen an den Füßen. Das Barfußlaufen erlaubte uns, behände die vielen astlosen Baumstämme des Waldes zu erklimmen.

Als ich noch nicht zur Schule ging, spielte ich meist allein, da es an Gleichaltrigen mangelte. Es machte mir nichts aus, ich konnte mich auf dem Hof und im Garten frei bewegen, und mir gingen die Spielideen nie aus. So buddelte ich in die Böschung Straße, Tunnel und Höhlen.

Das Jahn-Bad in Bönen war ein beliebter Treffpunkt für die Barackenkinder. Ganze Ferientage verbrachten sie dort, ausgestattet mit Handtuch und Margarineknifte. Foto: Gemeindearchiv

Aus Zigarettenschachteln wurden Autos oder Züge. Wenn dann die älteren Kinder aus der Schule kamen, hatte ich unter Umständen Spielkameraden. Es war jedoch schwer, als kleiner Knirps bei den Großen mitspielen zu dürfen. Meist versuchten sie das abzublocken. Dann setzte ich meine Stimmbänder ein – und die waren nicht ohne! Da mein Vater aber gerade seinen Schlaf hielt, wenn er Nachtschicht gehabt hatte, musste das Geplärre schnell beendet werden. Dann bestach meine Mutter die Größeren schon mal mit frisch gebackenen Waffeln. Daraufhin spielten sie „Cowboy und Indianer“, und ich war ihr Gefangener. Sie sperrten mich im Kaninchenstall ein und machten sich aus dem Staub. Aus diesen Erfahrungen habe ich gelernt und mir meine Spielkameraden später sorgfältig ausgesucht.

Wenn ich mich an die Sommer erinnere, denke ich auch an den Eismann Hauschild. In den ersten Jahren fuhr er die Baracken mit einem Fahrrad an, später kam er mit einem Dreiradauto. Im Winter brachte er mit diesem Gefährt auch Fisch ins Lager. Obwohl nicht viel Geld zur Verfügung stand, gab es für uns fast immer ein kleines Eis, das Hörnchen für fünf Pfennig. Am Ende eines Monates aber musste auch schon mal eine Birne als Eisersatz herhalten, an der wir dann leckten.

Hansi buddelte sich Straßen und Höhlen in den Hang. Foto: pr

Wenn es in den Ferien heiß war, zogen wir bereits morgens in das Jahn-Freibad. Wir hatten ein schönes 50-Meter- Becken in Bönen, sogar mit Sprungbrettern. Ausgerüstet mit Kniften mit Sanella und Zucker, dem Eintrittsgeld und einem Handtuch, brauchten wir vor 18 Uhr nicht zu Hause zu erscheinen. Wir mussten schließlich das Eintrittsgeld ausnutzen. Die meiste Zeit verbrachten wir im Wasser. Zum Aufwärmen legten wir uns auf die Betonplatten rund um das Becken. Vor Kälte schnatternd warteten wir, bis wir trocken waren. Ohne Sonnenschutzfaktor, von dem wir gar nicht wussten, dass es ihn gab, wurden wir gebräunt. Währenddessen umgab uns stets der Geruch von Chlor. In Unmengen sorgte es dafür, dass das Beckenwasser einigermaßen hygienisch blieb. Mit knurrendem Magen ging es abends schließlich nach Hause. Der Rückweg über den Kirchberg und die Blumensiedlung erschien uns unendlich. Nach solchen Tagen waren wir nicht wählerisch. Egal, ob es zum Abendbrot angebratenes Brot, Milchklöße oder Kartoffelsuppe gab – uns schmeckte alles.

Regenwasser auf den Hof geleitet

Zwischen den Baracken Vier und Fünf führte ein Hohlweg in den Ziegeleibusch. Diesen Weg versahen wir schon bei Ausbruch eines Gewitters mit einem Damm aus Steinen und Lehm, sodass er von den nachfolgenden Regenmassen gefüllt wurde. War er voll, öffneten wir ihn und die Massen ergossen sich in Richtung Baracken. Sie kamen zwar nicht bis zu den Eingängen, aber den Hof Mai erreichten sie doch. Der Ärger war programmiert. Ich frage mich noch heute, woher Herr Mai wusste, dass ich an der Aktion beteiligt war. Eigenartigerweise fiel die Standpauke meines Vaters immer recht moderat aus. Ich erinnerte ihn wohl an seine eigene Kindheit, wahrscheinlich war er auch nur schadenfroh, denn er mochte Herrn Mai nicht sonderlich.

Der freie Platz zwischen den Baracken wurde als Bolzplatz genutzt. Einige Fußballverrückte hatten ihn geebnet und so gut es ging von Steinen befreit. Was sich nicht ändern ließ war, dass man eine Halbzeit bergauf und die andere bergab spielen musste. Nachmittags war da immer Betrieb, und Fußballspielen konnten die Jungs auch. Einige spielten sogar beim VFL Altenbögge und bei der SG Bönen. Wir kleinen Knirpse durften zwar mitspielen, wurden aber während des Spieles meist übersehen. Als Balljungen waren wir dagegen sehr gefragt. Nach und nach wurden wir akzeptiert, und so mancher von uns hat so den Weg zum Mannschaftssport gefunden.

Es gab auch Aktionen, über die man heute nur mit dem Kopf schütteln kann. Des öfteren fanden etwa zwischen der Bande der halbwüchsigen Barackenjäuster und der aus dem Dorf Keilereien statt. Irgendwie kam zu Begegnungen der Gruppen und zu verbalen Auseinandersetzungen mit der Folge, dass man sich zu einem Duell verabredete. Der Duellplatz befand sich im Ziegeleibusch oberhalb der Baracken. Mit Steinen, Schleudern, Knüppeln, Pfeilen und Bögen gingen sie aufeinander los. Schwerere Verletzungen sind wohl nicht aufgetreten und gewonnen hatte am Ende niemand. Aber alle taten so als ob und wahrten so ihr Gesicht. Als Kleinere haben wir uns im Hintergrund gehalten. Vor diesem Gewaltpotential hatten wir Angst. Mit den Jahren ebbte diese Welle ab, wohl auch, weil die Bandenführer erwachsen geworden waren.

Der Sommer war die Zeit der Erdbeeren, Kirschen und Brombeeren. Im Ziegeleibusch gab es alles. Die wild gewachsenen Kirschbäume waren sehr hoch und nur mit besonderen Kletterkünsten zu erreichen. Da aber die Früchte in der Regel an den ausladenden, dünnen Ästen hingen, wurden diese abgebrochen und auf dem Boden abgeerntet. Über Naturschutz machten wir uns damals keine Gedanken, und auf den Förster passten wir auf.

Es gab auch einen baumlosen Streifen mit jeder Menge Brombeeren. Hinter denen war meine Mutter scharf her. Um an die Beeren zu kommen, die in dichtem Dornengestrüpp wuchsen, war eine Schutzkleidung erforderlich, im Klartext: Winterkleidung – und das im Hochsommer! Die Trasse war sonnendurchflutet und heiß. Es gab dort nicht nur das Brombeergestrüpp, sondern auch Brennnesseln, Wespen und Blinde Fliegen. Wir kämpften uns durch die Dornen und füllten die mitgebrachten Behälter. Verschwitzt, verdreckt, zerstochen und zerkratzt traten wir dann den Heimweg an. Appetit auf Brombeeren hatte keiner mehr, zu viele waren schon in unsere Futterluke gelandet. Meine Mutter verarbeitete die Früchte zu Marmelade, Gelee und Kompott. Einen Teil der Beeren erhielt die Frau des Bäckers Frens, im Tausch gegen ein Viertel Bienenstich oder als Ausgleich für den Betrag im „Anschreibbuch“