Weihnachten um 1900 in Bönen

Weihnachtsfest 1892 in einer gutbürgerlichen Familie.

Mehr Stimmung, weniger Hektik und Schnee gab es fast immer.

Die Schilderung der Weihnachtsbräuche um 1910 beruht auf einem „Interview“, das Hartmut Platte mit dem inzwischen verstorbenen Gustav Rebber-Oestrich führte, der die Weihnachtsfeierlichkeiten auf dem Hof Platte in Osterbönen noch selbst miterlebt hat.

Wie man zu Anfang unseres Jahrhunderts auf einem Bönener Bauernhof das Weihnachtsfest feierte: Der Heilige Abend war um 1910 fast ein Tag wie jeder andere. Auf den meisten Höfen wurde wie an einem normalen Werktag gearbeitet, die Bescherung fand manchmal auch erst am frühen Morgen des ersten Weihnachtstages statt. Trotzdem warf das nahende Christfest seine Schatten voraus, galt es doch, auf dem Hof und in den Ställen aufzuräumen und sauber zu machen. Überall herrschte große Betriebsamkeit, und Vorfreude auf das Fest war allenthalben zu spüren. Die Kinder der Bauernfamilie hatten schon Schulferien und blieben morgens länger im Bett.

Das eigentliche Christfest begann am Heiligen Abend nach 18 Uhr, wenn man mit der Arbeit im Stall fertig war und in die Kirche ging. Die Mutter blieb aber stets zu Hause, um in der guten Stube, die schon seit Tagen abgeschlossen war, den Tannenbaum und die Geschenke für die Bescherung herzurichten. So machte sich der Bauer mit den Kindern und dem auf dem Hof verbliebenen Gesinde zum Kirchgang auf. Die Bönener Kirche war mit zwei Tannenbäumen rechts und links vom Altar prächtig geschmückt und stimmte besonders die Kinder auf die Feier zu Hause ein.

Aus der Kirche zurückgekehrt, waren die Kinder vor Ungeduld kaum noch zu halten. Im ganzen Haus war die Feierlichkeit des Heiligen Abends zu spüren, und der typische Weihnachtsgeruch, eine Mischung aus Tannenduft, Gebäck- und Kerzengeruch erfüllte alle Zimmer. Man setzte sich zuerst zum Streuselkuchen-Essen zusammen, keineswegs ein Festessen, aber bei der zu erwartenden Süßigkeitenmenge und dem Weihnachtsbraten am nächsten Tag ein sinnvoller Verzicht auf allzu üppige Speise. Die Sitte des Streuselkuchen-Essens hielt sich auf vielen Höfen noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nun erscholl im Hausflur ein Klingelzeichen. Den kleineren Kindern wurde gesagt, das Christkind sei da und brächte die Geschenke. Kurz nach dem Klingelzeichen durften alle, die Familie und das Gesinde, in die gute Stube kommen. Aber keineswegs ging sofort der „Sturm auf die Geschenke“ los! Erst blieb man in gebührendem Abstand zum Gabentisch stehen, bewunderte den geschmückten, im Kerzenschimmer erstrahlenden Weihnachtsbaum und sang gemeinsam ein oder zwei Weihnachtslieder.

Friedrich Heinrich Platte, * 2.3 .1863, + 21.3.1955, Hoferbe zu Osterbönen. Foto mit frdl. Genehmigung von Hartmut Platte

Erst dann durften die Geschenke ausgepackt werden. In der Hauptsache fanden die Kinder damals einen großen Teller mit Süßigkeiten, Äpfeln und Nüssen unter dem Christbaum. Ein Schaukelpferd war etwas ganz besonderes, von einer Dampfmaschine träumten die meisten nur! Für die Mädchen gab es Puppen aus Stoff oder Porzellan. Die Erwachsenen bekamen meist selbstgestrickt Kleidungsstücke. Bücher waren ganz und gar unüblich. Welcher Bauer hatte auch schon Zeit zum Lesen?

Das abgereiste Gesinde war schon am Nachmittag beschert worden. Auch hier waren Kleidungsstücke als Geschenke beliebt; Geld zu geben war nicht üblich. Andere Menschen, die dem Hof nahestanden, etwa Verwandte oder im Dorf wohnende Tagelöhnerfamilien wurden mit einem Korb voll Gebäck, Obst und einer Wurst oder einem Stück Schinken beschert. Dieser schöne Brauch — meist nur auf größeren Höfen üblich – hielt sich noch bis in die neueste Zeit.

Nach der Bescherung wurden wieder einige Weihnachtslieder gesungen. Der Weihnachtbaum war mit Kerzen und auch mit selbstgebastelten Figuren geschmückt. Mit Zuckerguß überzogene Plätzchen und Apfel gaben dem Baum ein noch bunteres Aussehen. Lametta und Weihnachtskugeln setzten sich erst viel später durch. Nicht sehr spät, gegen 21.30 Uhr, ging man ins Bett und verschlief die heilige Nacht. Die bei den Katholiken und später auch in vielen evangelischen Gemeinden üblichen Mitternachtsmessen waren unbekannt. Das frühe Zubettgehen war auch nötig, schließlich mußte am Weihnachtsmorgen das Vieh genauso versorgt werden wie sonst auch. Der uralte Brauch, das Vieh am Heiligen Abend durch eine Zusatzration Futter zu „bescheren“, war in unserer Gegend nicht mehr üblich. Sehr alte Leute konnten sich daran erinnern, dass in der Heiligen
Nacht das Vieh mit dem Ruf „Christ ist geboren“ geweckt wurde.

Am Morgen des ersten Weihnachtstages gingen die Bauernkinder mit dem Gesinde wieder in die Kirche, während Bauer und Bäuerin zu Hause blieben. Sie holten den Kirchgang aber am zweiten Weihnachtstag nach, oft verbunden mit einem kurzen Gang in die Dorfschänke zu einem Schnäpschen oder Likör. Überhaupt handhabte man den Kirchgang sehr unterschiedlich, ganz verzichtet wurde jedoch niemals. Bis auf die Viehversorgung wurde an den Weihnachtsfeiertagen natürlich nicht gearbeitet.

Am Mittag des ersten Weihnachtstages kam ein Gänsebraten auf den Tisch, dazu Kartoffeln, Gemüse, Vorsuppe und Nachtisch, der meist aus Vanillepudding mit Kompott oder Weincreme bestand. Zu Weihnachten aß das Gesinde das gleiche wie die Herrschaft, was ansonsten bis zum Ersten Weltkrieg nicht auf allen Höfen der Fall war. Die Unsitte der schlechten „Leutewurst“, in der mehr Mehl als in der Wurst für die Familie untergemischt war, wird älteren Mitbürgern noch bekannt sein. Alkohol zum Essen gab es nicht; ganz Durstige tranken Apfelsaft oder Himbeersaft. Nach dem Essen und dem Aufräumen in der Küche trat die Mittagruhe ein — die Ruhe vor dem großen Sturm! Denn auf fast allen größeren Höfen war es Sitte, dass zur Kaffeezeit die zahlreiche Verwandtschaft von kleineren Anwesen oder aus nahegelegenen Ortschaften kam, und zwar mit „Kind und Kegel“! Mitunter saßen mehr als 15 Personen an der weihnachtlichen Kaffeetafel — für die Kinder natürlich ein großes Vergnügen konnte man doch nach Herzenslust mit Vettern und Basen herumtoben.

Nach dem Kaffeetrinken wurden die Kerzen am Baum noch einmal angezündet, und die Weihnachtslieder erklangen vielstimmig in der guten Stube. Die Erwachsenen saßen gemütlich beieinander und tranken ein Glas Wein oder Likör. Am Abend gab es belegte Brote und der Besuch verabschiedete sich gegen 20 Uhr.

Alles in allem also sehr ruhige Weihnachtstage, die zu Anfang unseres Jahrhunderts gefeiert wurden. Die Kinder waren damals schon so aufgeregt und gespannt wie heute, auch wenn die Geschenke bescheidener ausfielen. Weihnachtliche Stimmung, heute vielerorts verlorengegangen, konnte man beinahe mit den Hände greifen. Und das Wetter tat in schöner Regelmäßigkeit seinen Teil zur Weihnachtsatmosphäre: grüne Weihnachten waren damals eine Ausnahme.

Der Hof Platte in Osterbönen um das Jahr 1920.