Ein großer Mann für kleine Leute

Ein Team des WDR befragte Bürgermeister Fritz Böckmann, Gemeindedirektor Alfred Schmiedel und Prago-Stahl Chef Peter Eichmann im August 1969 über die Auswirkungen der kommunalen Neuordnung für Bönen.

Landrat a.D. Fritz Böckmann aus Altenbögge.

Wenn er mit karajanischer Gestik seine Anekdoten erzählte, ließen weder Deutlichkeit noch Dialekt Zweifel an seiner Ruhrgebiets-Herkunft zu.

Saß er beim Arbeitsessen im noblen Restaurant mit ebenso noblen Menschen zusammen, dann fiel seine Menu-Wahl hingegen filigran aus, dann sollte ihm ein jugendlicher Fasan auf Weinkraut mit Schupfnudeln den Abend vergolden.

Seine Anekdoten handelten vorzugsweise von Menschen. Und im noblen Lokal saß neben ihm stets sein Fahrer, dem er gehörig den Marsch blies, fiel dessen Bestellung erkennbar zu bescheiden aus.

Fritz Böckmann (wer hat ihn bloß jemals Friedrich genannt), der ehemalige Landrat unseres Kreises, war ein Mann, der Menschen mochte, Menschen an sich ziehen konnte, Menschen fördern und führen konnte.

Landrat Fritz Böckmann
Landrat Fritz Böckmann Abb.: (c) Kreis Unna Nr. 1644

Fritz Böckmann, Jahrgang 1923, einer aus Bönen, dem keine Vokabel der Bergmannssprache fremd war – er käme in unserer heutigen politischen Landschaft wohl den meisten, die sie bevölkern, wie eine dieser prähistorischen Echsen vor. Zu laut, zu groß, zu wuchtig. Ich mag das allerdings nicht als einen Mangel betrachten. Eher schon die Tatsache, dass Personen seiner Statur und seines ebenso sensiblen wie messerscharf- undiplomatischen Intellektes heute so wenig Raum in den Politik finden.

Fritz Böckmann, ein Dinosaurier?

Wenn es als Kompliment gemeint ist, dann akzeptiere ich diese Skizze der Person. Denn an raumgreifenden Charakteren, die Säle füllen und Mikrofone für lästig erachten, die Meinung sagen und nicht machen, die Politik leben und nicht von der Politik leben wollen, die für Menschen arbeiten und Menschen nur das Nötigste für die eigene Person tun lassen wollen, solche Charaktere haben Seltenheitswert, stehen auf der „Roten Liste” der politischen Kultur.

Ende 1970 musste recht überfallartig ein neuer Landrat her. Jürgen Girgensohn, der Nachfolger des großen Hubert Biernat, war Kultusminister in Düsseldorf geworden. Die SPD im Kreis Unna, seinerzeit noch von Hamm aus organisatorisch geführt, hatte es schwer, nach politischen Modell-Athleten wie Hubert Biernat und Jürgen Girgensohn gleichwertige Besetzungen hinzukriegen. Noch im Wetterleuchten der 68er beulten die Jungsozialisten ihre Strickpullover mit selbstbewusster Brust aus, besetzten das Kreishaus – „go ins” und “sit ins” nannte sich das – und forderten Mitsprache bei der Personalfindung. Dabei ein schlaksiger Juso mit Namen Rainer Scheuer aus Massen, der als junger Meinungsführer alle möglichen Favoriten für den Job im Kopf hatte, nur Fritz Böckmann aus Bönen nicht. Und doch wurde es „unser Fritz”, obwohl er als Bönens Bürgermeister kreispolitisch bis dahin keine nennenswerte Auffälligkeit verbreitet hatte und gerade erst mal ein Jahr dem Kreistag angehörte.

Vielleicht mag ja der eine oder andere Stimmberechtigte seinerzeit die kecke Mutmaßung bei sich getragen haben, Fritz Böckmann werde schön still und ferngelenkt seine Arbeit verrichten, während die alten Herrscher der „Strippen” in ihrem Sinne die Fäden ziehen.

Voll daneben, würde man heute sagen. Diese Fäden hatte Fritz Böckmann schnell in der Hand. Er wollte nicht allein daran ziehen, aber immer die inhaltliche Lufthoheit behalten. Er gab Verantwortung gern weiter, beharrte aber auf seine Rolle als ultimativer Bewerter. Das blieb so, bis er mit 65 Jahren 1988 sein Amt abgab – keineswegs in der Phase eines Abstiegs oder Machtverlustes, vielmehr in der Souveränität eines Mannes, der weiß, zu welchem Zeitpunkt die Erinnerung an die eigene Person stets respektvoll und wohlwollend bleibt.

Fritz Böckmann war in seiner charakterlichen Formgebung sozusagen ein Produkt des 2. Weltkrieges. Noch 1945 so schwer verwundet, dass sein Körper ihn ohne Unterlass an die Unmenschlichkeit jener Zeit erinnerte, blieb er ein Mensch, der sich hütete, vor einem anderen Menschen den Kopf zu tief zu neigen. War er ein Mensch, dem eine abgründige Skepsis gegenüber Befehl und Gehorsam, gegenüber Uniformen und herrschaftsmäßigen Umgangsformen, blieb. War Fritz Böckmann ein Demokrat- auch dann, wenn er den anderen Demokraten gelegentlich sagte, wo er meinte, dass der Barthel den Most holt.

So war es logisch, dass dieser Mann nach dem Krieg nicht seine Arbeit als Techniker wieder aufnahm, weitermachte, wie vor dem Schrecken, den Deutsche über Europa und die Welt gezogen hatten. Er wurde Lehrer, weil er jungen Menschen weitergeben wollte, was er als Lehren aus der Vergangenheit gezogen hatte. Und er wurde Politiker, dass er sich später nicht selbst den Vorwurf machen musste, er habe andere handeln lassen und selbst nur zugeschaut. Und weil er so war, wie er war, machte er Karriere als Politiker, weil für Fritz Böckmann das Handeln mit Gestalten und Entwickeln einherging. Dies aus der Linienposition anzugehen, wäre für ihn unsinnig gewesen.

Einsatz für „seinen” Kreis

Fritz Böckmann brach seine Karriere allerdings an einer ganz bestimmten Stelle ab. Er war Landrat des Kreises Unna, und mehr wollte er nicht sein. Später, als er längst für ministrabel gehalten wurde und andere seine Ziele in Düsseldorf sahen, da winkte er ab. Hierher gehörte er, hier wollte er bleiben. Und so stritt er für seinen Kreis, kämpfte um dessen Bestand, als bei der Gebietsreform 1975 begierige Großstadthände nach ihm griffen. Er paukte Ideen durch, die den einen vermessen erschienen und anderen schlicht „spinnert”. Und dabei drückte er seinem Kreis auch seinen Stempel auf, legte Spuren, die heute noch wieder zu finden sind.

Wer mit ihm ging, musste das Schritthalten lernen, wer gegen ihn war, musste auf Kratzspuren am Lack gefasst sein, wer aber zur Gegnerschaft gehörte und gleichzeitig die Interessen des Kreises in den Mittelpunkt stellte, der fand in Fritz Böckmann einen loyalen Partner.
Und auch das war typisch für ihn: Wer zu ihm kam und sagte, er habe ein ernstes Problem, bekam nie die Frage gestellt: „Wie ernst?”. Fritz Böckmann fragte: „Wie kann ich helfen.”

Ja, er war schon damals ein Dinosaurier unter den schnittigen neuen Kommunalpolitikern im Kreis. Schon allein deshalb, weil man ihm anmerkte, dass Politik ihm den reinen Spaß bereitete. Aber wer hinterlässt deutlichere Spuren – der leise Tritt oder der kraftvolle Schritt? Und wer wie Fritz Böckmann darauf achtet, dass beim energischen Schritt nach vorn niemand mit Füßen getreten wird, der legt seine Spuren so, dass die Erinnerungen, die sie wecken, warm und wohlwollend bleiben. Fritz Böckmann verstarb im Jahre 1999.